Klettercamp Korsika 2016
Klettercamp Korsika 2016 - oder - ein Kindheitstraum wird wahr
Nach den so positiven Erfahrungen unseres Mehrseillängen-Debuts in Norwegen 2015, war für uns klar, dass wir auf Korsika mit dabei sein mussten. Wo sonst kann man hautnah von den Profis lernen? Nachdem Norwegen für uns Neulinge dankbarerweise ein sicheres Terrain für den Einstieg darstellte, war uns klar, dass Korsika einen höheren Anspruch an das gelernte Grundlagenwissen stellen würde. Dies bedeutete für uns, Wiederholen, Üben, Ausprobieren, um sicher in alpines Gelände starten zu können. Wir ahnten noch nicht, wie viel wir dazu lernen würden!
Während Carina, Holger und ich schließlich als letzte am Samstag den 23.07.2016 zum Start des Klettercamps eintrudelten, hatten sich alle anderen bereits warm geklettert und die ersten Erfolge erzielt: Vera, Andreas, Manfred und Brigitte: Punta die Tafoni (5). Andrea und Andreas: Hochzeitstorte (6a). Andreas, Vera, Felix: Rempart Wabenkante. Und, nicht zu vergessen, Canyoning im Fumicelli.
Wir erreichten den wunderschön gelegenen Campingplatz in vorangeschrittener Dämmerung und konnten dankbar feststellen, dass die, diese Jahr gemütlich kleine, Gruppe uns bereits einen Platz reserviert hatte. Selbst eine Pfanne mit Essen war noch übrig.
Am Sonntag ging es dann sofort los, um die Reibung korsichen Granits unter die Schuhe zu bekommen. Das Wetter war unbeständig und die schweren Regenwolken schienen unentschlossen, und so fuhren wir mit Andreas, Marcus und Andrea zum Col de la Tana, der kurze, gut abgesicherte Seillängen und eine schnelle Rückzugsmöglichkeit bietet. Nachdem das Gewitter unangenehm nah an dem Felsturm vorbei zog und uns Kletterer immer wieder mit einigen Schauern die Stimmung verhagelte, fuhren die anderen zurück ins Camp, während Holger und ich noch unser Glück an einer 2-Seillänge versuchten. Obwohl wir trocken und ohne Gewitter den Gipfel erreichten, wurde ich im Laufe der Kletterwoche in vielen Gesprächen immer sensibler auf das Thema Gewitter in den Bergen.
Am Montag bildete ich mit Andreas eine Seilschaft in der selten begangenen Trad-Route "Die steile Ingrid" (6+), während sich Andrea, Martin und Marcus der cleanen "Tribulazione" (6+) im Nachbarturm stellten. Zittrige Knie für alle Beteiligten. Die ersten 3 Seillängen unserer Route erschütterten, selbst als Nachsteiger, mein Selbstbewusstsein so sehr, dass es mir schwer fiel, mein Interesse an der offensichtlich sehr einfachen letzten Seillänge anzukündigen.
"Routenfindung ist ein ganz wichtiges Thema", habe ich in Erinnerung als ich auf halbem Weg hinunter frage: "Rechts oder Links?", und Andreas mit den Schultern zuckt. Jetzt weiß ich, was gemeint war. Zähne zusammen beißen; wird schon schiefgehen. Ein paar Schlingen und 2 Friends später stehe ich auf dem Gipfel und bin stolz und glücklich diese Herausforderung gemeistert zu haben.
Doch damit war längst nicht genug gelernt. Mein weggerollter Helm, schwer abzuziehende Seile und ein tonnenschwerer Steinschlag komplettierten die Lehre des Tages: "Die meisten verunglücken beim Abstieg..."
Eine Stunde später stießen Andrea, Marcus und Martin zu uns und 5 zufriedene, glückliche Gesichter sprachen für einen erfolgreichen Tag. Und der Sprung in die obligatorische Gumpe bildete den würdigen Abschluss!
Während am Dienstag Andrea und Andreas den Südgrat des Punta du U Pampalonu (6+ clean) bekletterten, gingen Carina, Holger und ich die Caletta (5+) in der Südgruppe an. Unsere erste eigene cleane Tour! Und eine der schönsten für uns als Dreierseilschaft, denn es war für jeden von uns etwas dabei. Und auch die Tatsache, dass mit uns 5 Seilschaften unterwegs waren ("hier geht's ja zu wie im Freibad"), tat dem erfüllenden Gefühl auf dem Gipfel zu stehen, keinen Abbruch.
Es ist einfach unbeschreiblich, was sich einem für ein Ausblick von den Gipfeln der freistehenden Felstürme des Bavellapasses bietet. In alle Richtungen fällt der Gipfel steil ab und am Horizont, hinter den Gebirgsketten, glänzt silbrig das Meer in der Nachmittagssonne. Die Ruhe und die Einsamkeit sind atemberaubend... wenn man nicht, wie wir, zu sechst auf dem Gipfel steht.
Doch ein Gutes hatte die Sache: Ohne die andere Seilschaft hätten wir unser, aus unerfindlichen Gründen festsitzendes, Seil nicht mehr abziehen können. Wir mussten feststellen, dass Seilreibung im korsichen Granit ein ernst zu nehmendes Thema ist. Sowohl beim Abseilen, als auch beim Vorstieg: "Verlängern, verlängern, verlängern..."
Am Mittwoch stand für die anderen die Vacca auf dem Programm, die "große" Canyoningtour, über die wir so viel Gutes gehört hatten und die zu einem festen Bestandteil der Korsika-Fahrt geworden ist. Und nächstes Mal sind auch wir bestimmt dabei! Für uns nämlich ging es zum Ciaccianu in die Route "Tribulazione" (6+). Holger meisterte vorbildlich die sehr schwere und dünn abgesicherte Verschneidung, Carina erklomm mutig ihre sehr ausgesetzte Seillänge und für mich wurde es einer dieser Tage, an dem mir das Herz in die Hose rutscht und ich kurz davor bin das Klettern an den Nagel zu hängen. Als ich mir doch ein Herz fasste und in die steile Tafoni-Passage einstieg, war ich erst verzweifelt auf der Suche nach vertrauenswürdigen Sicherungspunkten, schielte immer nach Rückzugsmöglichkeiten, fluchte und kämpfte mit der Angst. Doch nach den ersten 20 Metern begann ich mich zu entspannen, dachte wieder nüchtern und arbeitete mich Meter für Meter voran. Und als ich dann, viele Klettermeter später, einen brauchbaren Standplatz in den Tafonis eingerichtet hatte und die Füße über dem Abgrund baumelnd nachsicherte, wurde mir bewusst, dass es all die Angst wert gewesen war.
Schon als Kind habe ich vom Klettern in Steilwänden geträumt und Zeit meines Lebens habe ich fasziniert und ehrfürchtig in die schroffen Wände der Berge hinaufgeschaut. Und nun saß ich hier, inmitten der zerklüfteten Felsen, 100 Meter Luft unter den Beinen und
überglücklich, denn nichts weniger als ein unmöglich geglaubter Kindheitstraum erfüllte sich um mich herum!
Auf dem Rückweg trafen wir Brigitte und Manfred uns zusammen stießen wir zu dem Rest der Gruppe um den Tag mit einer herrlichen Pizza ausklingen zu lassen.
Der Donnerstag war dann für alle ein entspannter Tag, an dem sich die Gruppe in die Hochebene, ans Meer oder zu einem Sonneuntergangsblick verstreute. Am Abend kamen dann wieder alle zusammen, um gemeinsam zu essen und "Werwolf" zu spielen. Bei "Werwolf" zu überleben ist übrigens bedeutend schwerer, als einen der Felstürme zu erklettern...
Am Freitag fuhren wir zu dritt zum Punta Maccao um uns dort an der "Aioli Bar" (6+) und "Occitanista" (7) zu versuchen, beides gut abgesicherte Sportrouten (jedenfalls gut gesichert in Hakennähe; die 5 Meter dazwischen... eher nicht). Ein Tag voller Fehler und Missverständnisse, aber auch mit kreativen Sicherungsmethoden. Ich habe seit diesem Tag das Lasso-werfen mit einer Schlinge auf Felsköpfe als legitimes Mittel für dringend notwendige Zwischensicherungen erklärt.
Am Samstag waren wir drei mit Marcus die letzten Verbliebenen im Camp. Mit Holger hatte ich dann nochmal eine letzte herausfordernde Unternehmung vor mir. Die Wabenkante des Rempart hinauf, von dort hinunter auf die Scharte zwischen Caletta und Rempart und dann von dort in 2 Seillängen durch die Westwand auf die Caletta. Die Wabenkante war eine echte Herausforderung, doch als wir dann vom Gipfel in die Westwand der Caletta schauten, wurde uns nochmal ganz anders. "Schaut euch die Route von oben genau an. Da gibt's kein Topo zu." Mit dem Eindruck, eine unmögliche Wand vor uns zu haben, seilten wir dann auf die Scharte ab. Seil abziehen war kein Problem; wir hatten schließlich dazu gelernt. Als wir dann, mit dem Vorsatz immer den Rückzug sicher zu stellen, in die Westwand einstiegen, war diese doch leichter, als von oben gedacht. Man sollte sich eben nie auf den reinen Anblick einer Wand verlassen! Der letzte Gipfelblick von der Caletta war ein wirklich würdiger Abschluss einer intensiven Woche voller neuer Eindrücke, Gefühle und Erfahrungen.
Mein Fazit: Eine super nette Gruppe, in der der Schwächere ganz automatisch vom Besseren lernt, in der man schöne Abende verbringt und mit der man viel mehr als nur das Klettern erleben kann. Und ja, Korsika ist weit. Aber was ist eine 30-stündige Anreise schon gegen einen 36 Jahre alten Traum?
Fotos: Die Teilnehmer
Kategorie:
Klettern