"Kommst du mit nach Bleau?"
„Kommst du eigentlich auch mit nach Bleau?“ Ich war noch keine drei Mal an den Nordsternwänden und hörte diese Frage schon wieder, und direkt danach die schwärmerischen Schilderungen von den letzten Jahren: „Es ist soo schön da!“, „Du kannst den ganzen Tag klettern oder in der Sonne liegen!“, „Alle in der Gruppe sind sooooo nett!“, „Du wirst nie wieder in der Halle bouldern wollen …“ und so weiter.
Irgendwas musste an diesem Fontainebleau also dran sein. Vielleicht sollte ich tatsächlich mitkommen!? Meine Bedenken im Vorfeld (kein Zelt, Höhenangst, noch nie am Fels geklettert, wollen die mich überhaupt dabei haben?) wurden alle mit einer Handbewegung weggewischt. „Das wird super!“ war die einhellige Meinung. Tatsächlich klappte bereits in der Planung alles wunderbar: Rundmails mit allen wichtigen Infos von Andreas und Barbara; eine Mitfahrgelegenheit bei Marius, Luzie und Pia; mit Pia und Julius in einer Zelt-WG (ein großer Dank an Petra und Oliver, die das Zelt bereits für uns aufgebaut hatten); leckeres Essen von der Familie Koch; eine halbe Campingausrüstung von Marius; Barbaras Versicherung, dass noch nie jemand mit einem Helikopter vom Fels geholt werden musste, weil er nicht mehr herunterkam … Also los!
Nach neun Stunden Fahrt und dem Abenteuer „Paris in der Rushhour“ kamen wir endlich am Campingplatz „Ile de Boulancourt“ an. Müde und kaputt wurden wir von den bereits Angereisten herzlich begrüßt und der Urlaub wurde direkt mit einem Essen und etwas Wein eingeleitet. Am nächsten Morgen ging es bei fantastischem Wetter (was sich übrigens auch nicht ändern sollte) los. Zunächst mit einem entspannten Frühstück mit ca. 30 Leuten an der langen Tafel aus zusammengestellten Campingtischen. Dann brachen wir, ausgerüstet mit Kletterschuhen, Crashpads vom Verein, Proviant, Picknickdecken und jeder Menge Vorfreude, langsam zum ersten Gebiet auf: Buthiers, nahe beim Campingplatz. Dort stellte ich fest, dass Bouldern am Fels gar nicht so dramatisch ist! Aufgeteilt in kleine Grüppchen konnte jeder genau das klettern, was er wollte: einen ganzen Parcours, knifflige Probleme, leichte Anfängerboulder oder auch einfach gar nichts. Jeder half jedem, es wurde angefeuert, gut zugesprochen und gespottet, also bodennah gesichert.
Nach den langen Bouldertagen verliefen die Abende genauso entspannt wie alles andere auch. Irgendwann kochten alle ihr Abendessen, man saß eine Weile vor dem Zelt und tauschte sich über die Erlebnisse des Tages aus, pilgerte dann ins Waschhäuschen und endete am Lagerfeuer, wo Andreas und Oliver Gitarre spielten und auch das eine oder andere Lied gesungen wurde (danke Sabine). Lotte tobte mit ihrem kleinen Bruder Johannes und dem Hund Carlo über den Campingplatz, während Anna, Theo und Phillip in der Hängematte schaukelten und Marie und Jona es sogar auf die andere Seite des Baches schafften. Das Abendessen von Barbara, Detlef, Andrea und Martin wurde neidisch bestaunt. Der überaus nette und freundliche Patron des Campingplatzes machte für uns sogar wegen des Deutschlandspiels bei der WM ein kleines Public Viewing möglich. Die Leistung unserer Mannschaft wurde übrigens von den anwesenden Franzosen respektvoll anerkannt.
Nachdem der erste Tag vom Trubel des benachbarten Freizeitparks geprägt war, beeindruckte das zweite Gebiet „Diplodocus“ mit einer unglaublichen Ruhe. Mitten im Wald und auf engstem Raum gibt es viele Bouldermöglichkeiten in allen Schwierigkeitsgraden. So konnten sich die Hardmover an „Highballs“ austoben und Julius zeigte uns am Riss, dass er in Sachsen Handklemmen gelernt hatte, während andere lieber Traversen und Platten kletterten. Gerade in Bleau gilt: Ordentlich die Füße setzen – auch auf ganz kleine Nupsis, von denen man kaum glauben kann, dass sie überhaupt einen Fuß tragen können. Anders als in der Halle sind am Fels weder Griffe noch Tritte eindeutig zu erkennen, so dass die Orientierung neben der Koordination und der Beweglichkeit eine weitere Schwierigkeit darstellt. Manchmal ist erstaunlicherweise eine kleine Winkelveränderung des Fußes auf dem Tritt die Lösung.
Tag drei unterschied sich darin von den anderen, dass wir nicht gemeinsam in ein Gebiet fuhren, sondern zwei Gruppen bildeten. Andreas, Mareike, Martin und Peter wollten im Gebiet „Maunoury“ den orangen Parcour „Soleil“ – Soleil in „a complete free flowing manner“, so steht's im Kletterführer – begehen. Die Kletterei ist konstant mittelschwer und Spotter und Crashpad sind wegen der Höhe sinnlos. Dieses magische Gebiet sollte laut Führer in jedermanns Liste der 10 unvergesslichen Kletterspots einen guten Platz einnehmen. Diese Einschätzung wurde von unseren Hardmover nach 54 gelösten Problemen erschöpft bestätigt!
Zum Thema Probleme noch ein O-Ton von Marius: „Probleme, Probleme! Alle reden hier immer von Problemen. Ich hab' in Bleau keine Probleme, hier geht's mir gut!“
Die Softmover fuhren zum nahe gelegenen Sektor „Éléphant“, wo die Slackline aufgespannt wurde, tolle Parcours warteten und auch der eine oder andere gut trainierte, hübsche Franzose von der Picknickdecke aus zu beobachten war. Den letzten Abend feierten wir etwas wehmütig mit „Pizza au feu de Bois“ vom Pizzawagen vor dem Campingplatz.
Es war eine wunderschöne Zeit mit der ganzen großen Gruppe. Es war großartig, draußen zu sein, so nette und hilfsbereite Menschen um sich zu haben und abends am Feuer zu sitzen und generationenübergreifend über das Klettern oder ganz andere Dinge zu reden. Besonders die Mischung von unterschiedlichen Menschen – Familien, Familien mit kleinen Kindern, Paare, Jugendliche, Freunde – machte die Gruppe so entspannt und harmonisch. Ich wurde so offen und freundlich in die Gemeinschaft aufgenommen, dass ich mich noch immer riesig darüber freue. Und jetzt, da der Sommer schon wieder vorüber ist, heißt es warten. Bald ist Weihnachten, dann kommt irgendwann Ostern und dann Bleau, und damit auch, wie Andreas immer sagt: „Das wahre Ding.“
Fotos: Die Teilnehmer
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Klettern